Warum wir mehr tragen, als wir glauben: Die verborgene Kraft unseres sozialen Netzes
Trennungen tun weh. Sie erschüttern. Sie reissen uns aus dem, was wir kannten, und werfen uns in einen Raum voller Unsicherheit, Trauer – und vor allem Angst.
Eine der grössten Ängste, die ich in meinen Coachings immer wieder sehe, ist diese hier: Die Angst, alleine zu sein. Viele Menschen fürchten sich davor, Single zu sein. Nicht wegen des Alltags, der nun neu gestaltet werden will, nicht wegen der Formalitäten, nicht einmal wegen des geteilten Kühlschranks.
Sondern wegen dieses tiefen, inneren Schmerzes, der hochkommt, wenn auf einmal niemand mehr „da“ ist.
Oder zumindest niemand mehr, der diese besondere Rolle hatte.
Doch genau hier passiert ein entscheidender Denkfehler.
Alleine sein – bedeutet nicht einsam sein
Wenn eine Beziehung endet, konzentriert sich unser Blick wie ein Spot auf diese eine wegfallende Person.
Wir sehen, was fehlt. Wir spüren, was nicht mehr da ist.
Und wir vergessen dabei, was trotzdem da geblieben ist. Ich beobachte das immer wieder: Menschen glauben, sie stünden nun alleine da.
Dabei stehen sie in einem tragenden, oft unglaublich liebevollen sozialen Netz.
Familie. Freundinnen. Freunde. Kolleginnen. Nachbarn. Menschen, die uns mögen, die uns unterstützen, die uns sehen. Menschen, die uns wertschätzen – ohne romantischen Kontext.
Nur: Dieses Netz ist so selbstverständlich, dass wir es viel zu oft ausblenden.
Der Partner ist nicht die Torte – er ist die Kirsche darauf
Es ist ein wunderschöner Gedanke, dass ein Partner oder eine Partnerin das eigene Leben bereichert.
Dass er oder sie ein Plus darstellt, ein „Mehr“, ein Bonus.
Doch viele Menschen leben unbewusst nach einem anderen Bild:
dass der Partner die Torte selbst ist – das Zentrum, das Fundament, der Kern.
Wenn du dieses Bild leitest, dann führt jede Trennung zwangsläufig zu einem Zusammenbruch.
Die Wahrheit ist:
Du bist die Torte. Deine Beziehungen – dein Netz – sind die Torte.
Dein Leben, deine Werte, dein Alltag, deine Freundschaften, deine Familie, deine Persönlichkeit, deine Kraft – das alles trägt dich.
Der Mensch an deiner Seite ist die Kirsche darauf.
Wunderbar. Bereichernd. Schön.
Aber keine Existenzgrundlage.
Ein Netz, das trägt – auch wenn du es nicht siehst
Viele meiner Klientinnen und Klienten sind hochsensibel.
Das bedeutet oft eine besonders tiefe Art zu lieben, zu fühlen, zu binden – aber auch eine intensivere Angst vor Verlust.
Im Moment einer Trennung fühlt sich der Körper an wie leer, das Nervensystem wie überlastet, der Kontakt zu sich selbst wie abgerissen.
Doch wenn wir gemeinsam hinschauen, wenn die Emotionen langsam weicher werden, sehen wir etwas Erstaunliches:
Der Mensch war nie alleine.
Er hat einfach nur vergessen, wo überall Liebe und Halt existieren.
- Vielleicht hast du eine beste Freundin, die dich seit Jahren begleitet.
- Vielleicht einen Bruder, der jederzeit anruft.
- Vielleicht Menschen im Job, die dich schätzen.
- Vielleicht ein Hobby, eine Community, ein Ort, an dem du aufgefangen wirst.
- Vielleicht eine Therapeutin oder ein Coach, der dich begleitet.
Dieses Netz war schon vorher da – und es bleibt auch jetzt.
Was wäre, wenn du dir erlaubst, das zu spüren?
Was wäre, wenn Single sein kein Mangel ist, sondern ein Raum?
- Ein Raum, in dem du zurück zu dir findest.
- Ein Raum, in dem du erkennst, wie getragen du in Wahrheit bist.
- Ein Raum, in dem du dich selbst wieder hörst.
- Ein Raum, in dem du nicht „alleine“ bist – sondern frei.
- Frei, dich neu zu orientieren.
- Frei, dich zu stärken.
- Frei, zu spüren, wer du geworden bist.
Und wenn du das nächste Mal jemanden an deiner Seite hast…
… dann nicht, weil du es brauchst, sondern weil es schön ist.
Nicht, weil du sonst fällst, sondern weil du ohnehin getragen bist.
Nicht, weil du alleine wärst, sondern weil dein Leben bereits voller Menschen und Liebe ist – und dieser eine Mensch einfach noch eine Kirsche oben drauf legt.